Einmal mehr wollen wir es wissen, einmal mehr wollen wir an unsere Grenzen, ja vielleicht sogar über unsere Grenzen. Für Nicht-Bergsteiger ist es schwer nachzuvollziehen, was die Faszination ausmacht. Oft steht man sehr früh auf und es ist mit vielen körperlichen wie auch seelischen Strapazen und Entbehrungen verbunden. Wir aber sind nun, so ist es wohl zu befürchten, definitiv mit dem Bergvirus infisziert. Man kann es nicht rational erklären, es ist ein Lebensgefühl, ein Gefühl der unendlichen Freiheit. Es ist die Faszination, inmitten einer herrlichen Bergwelt zu sein und unglaubliche Tief- und Weitblicke zu geniessen. Es ist ein Gefühl der unendlichen Ruhe und dem Einssein mit der Natur.
So fahren wir am 23.09.2016 einmal mehr zu Dritt ins Wallis. Diesmal führt uns die Reise nach Zermatt.
Im Hotel Chesa Varese werden wir wärmstens empfangen und fühlen uns sofort wohl und zu Hause.
Über unseren Betten erinnern Fotos an alte Pioniere des Bergsteigens und machen uns "gluschtig" auf den morgigen Tag.
Mit einem Spaziergang durch’s Dorf und einem feinen Nachtessen beschliessen wir den Tag.
Hochtour zum Pollux
Samstag 24. September 2016
Distanz: ca. 10 km
Aufstieg: ca. 600 m
Abstieg: ca. 600 m
Das Wetter könnte nicht besser sein! Wir freuen uns!!!
Um 7:40 Uhr sind wir mit Michi, unserem Bergführer aus Saas Fee, an der Talstation verabredet, treffen ihn jedoch bereits unten im Dorf. Nach einer kurzen und herzlichen Begrüssung versuchen wir, die erste Gondel Richtung Klein Matterhor zu erwischen. Der Andrang von Skitrainingsgruppen an der Talstation ist jedoch dermassen gross, dass wir erst nach 9:00 Uhr auf dem Klein Matterhorn (3883m) ankommen. Jetzt heisst es keine Zeit verlieren, schnell noch aufs WC, Klettergurt montieren und losmarschieren.
Auf anfänglich gut gespurtem Weg geht es über das Breithornplateau bis zum Punkt, wo sich der Weg gabelt. Die Seilschaft vor uns biegt hier links Richtung Breithorn ab, wir hingegen ziehen eine Spur in den beinahe noch frischen Schnee.
Bald schon montieren wir unsere Steigeisen. Das Gehen durch den Neuschnee gestaltet sich erschwerlich. Immer wieder sinken wir ein und brauchen dadurch unnötig viel Kraft und Zeit.
Nach und nach ziehen Nebelschwaden von Italien her zu uns hoch.
Nach knapp 2 Stunden auf und absteigender Gletscherquerung löst sich der Nebel langsam wieder auf und gibt uns, anfänglich noch durch einen mystisch anmutenden Schleier, einen wunderbaren Blick auf den Pollux frei.
Noch ein kurzes Stück mühsames Gletschertreking trennt uns vom eigentlichen Aufstieg zum Pollux. Und so stehen wir kurze Zeit später am Fusse des SW-Grates.
Hier lassen wir die Stöcke in einem Depot, trinken einen Schluck warmen Tee und essen einen Riegel.
Ein Blick zur Felswand hoch lässt uns kurz "taumeln". Das schaffen wir nie!
Widererwartet führt uns der Weg zunächst in mehr oder weniger einfacher Kletterei (bis II-) hinauf auf die Schulter an den Einstieg zu einer großen Platte mit Kette.
Immer wieder stellt sich mir die bange Frage, wo um Himmels Willen platziere ich in diesen vielen Steinen und Felsen meine noch immer mit Steigeisen bestückten Füsse, so dass ich sicheren Halt finde?
Einmal bei den Ketten angelangt, gestaltet sich aber das Platzieren von Händen und Füssen viel einfacher. Trotzdem erfordert die ganze Felspassage unsere gesamte Konzentration und jede Menge Kraft.
Dadurch, dass wir bei der Gletscherquerung selber spuren mussten, kostete uns der Aufstieg viel mehr Zeit als geplant und wir erreichen die Madonna erst um 13:00 Uhr, der eigentlichen Deadline zum Umkehren.
Wir drei wissen zum Glück aber nichts von dieser Deadline, welche sich Michi gesetzt hat. Trotz Zeitknappheit entscheidet er sich für den nun folgenden, einfachen Firnaufstieg zum Gipfel.
Ein wunderprächtiges Rundumpanorame öffnet sich vor unseren Augen.
Blick auf den grossen Zwillingsbruder, Castor Blick auf die Mischabelkette
Aus besagtem Zeitmangel verbleiben wir nur ganz kurz auf dem Gipfel, machen ein paar Fotos, trinken einen Schluck warmen Tee und steigen schnell wieder ab zur Madonna. Im oberen Ketten- Bereich seilt uns Michi ab. Dort, wo die Kettenpassage endet, kreuzen wir ohne Probleme eine noch aufsteigende Seilschaft (übrigens die einzige, welche uns bis zu diesem Zeitpunkt begegnet ist).
Am Fusse des Pollux machen wir eine Mini-Pause und folgen unseren am Morgen gelegten Spuren Richtung Klein Matterhorn. Der lange Weg mit seinen vielen Gegensteigungen und die starke Sonneneinstrahlung machen uns recht zu schaffen. Pausen liegen nicht mehr drin, weil wir die letzte Bahn nicht verpassen wollen. Die Sonne brennt, die Beine sind schwer, die Luft zum Atmen ist dünn und spärlich und der Mund trocken, so trocken, dass wir zur Not Schnee im Mund vergehen lassen, um uns vor dem "Austrocknen" zu schützen.
Mehr geht nicht mehr! Wir geben alles und es gelingt uns, "Zunge völlig bei Fuss", tatsächlich noch knapp die letzte Bahn zu erreichen. Ein Bahnangestellter weist uns zur Eile an und so hasten wir, immer noch mit den Steigeisen an den Füssen, in die Godel, welche uns um 16:32 Uhr wieder ins Tal befördert.
Das Gedicht von Reinhard Klappert (ein österreichischer Bergführer) fasst unsere Gefühle recht schön zusammen:
Schritt um Schritt.
Nichts sonst. Was auch?
Nur das sanfte Knirschen
frischen Schnees,
das Klacken der
Bindung. (bei uns war es das Klacken der Steigeisen)
Schritt um Schritt.
Und mein Atem und der Atem
hinter mir.
Keine Forderung.
Kein Anspruch.
Nur das Nach-oben-Wollen.
Sinnlos. Zwecklos. Herrlich.
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